»Schickt uns noch viel mehr begabte Leute«
Hochschulentwicklung
Ein Beitrag von Klaus Ulrich Ruof
Christof Voigt ist der neue Rektor der Theologischen Hochschule Reutlingen. Für die kommenden Aufgaben sieht er die Hochschule gut vorbereitet.
Im Mai wurde Christof Voigt zum neuen Rektor der Theologischen Hochschule Reutlingen (THR) der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) gewählt. Anfang September übernahm er dieses Amt als Nachfolger von Roland Gebauer. Dieser hatte neben seiner Professur für Neues Testament acht Jahre lang als Rektor die Leitung der Hochschule inne. Nach seinen ersten Erfahrungen in diesem Amt gibt der neue Rektor Einblick in die Aufgaben, Chancen und Herausforderungen der Hochschule.
Für die anstehenden Herausforderungen gut aufgestellt
Der 58-Jährige studierte Philosophie, Griechisch und Latein in Tübingen, an der Sorbonne in Paris und in München. Seit 1989 ist er an der evangelisch-methodistischen Hochschule tätig. Zunächst als Lehrbeauftragter für Philosophie, später kamen im Rahmen einer Dozentur die Fächer Griechisch, Hebräisch und Latein hinzu. Seit der Akkreditierung des früheren Theologischen Seminars als Theologische Hochschule ist er Professor für Philosophie und Biblische Sprachen und nun zusätzlich mit der Aufgabe des Rektors der Hochschule betraut.
»Kirche verliert rapide an Bedeutung«, beschreibt der in Bremen aufgewachsene Rektor die Herausforderung, mit der eine Theologische Hochschule heute konfrontiert ist. Die Stellung der Kirche in der Gesellschaft färbe auf alle theologischen Ausbildungsstätten ab, unabhängig davon, ob es Fakultäten an einer Universität seien oder Hochschulen in kirchlicher oder freier Trägerschaft. »Hinzukommt, dass die Theologie als Wissenschaft an Bedeutung verliert«, so Voigt. Damit markiert er den dramatischen Bedeutungsverlust, dem die Theologie im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Umfeld ausgesetzt ist.
Angesichts dieser und weiterer Herausforderungen sieht Voigt die seit gut fünfzehn Jahren als Hochschule akkreditierte Reutlinger Ausbildungsstätte für die anstehenden Herausforderungen gut aufgestellt. Sie bildet den theologischen Nachwuchs aus für die Evangelisch-methodistische Kirche im deutschsprachigen Raum und ist wissenschaftlich, ökumenisch und international gut vernetzt. Das inzwischen den klassischen theologischen Studiengängen mit Bachelor- und Masterabschluss um zwei Studiengänge erweiterte Angebot verleihe der Hochschule eine größere Anziehungskraft. Besonders der Studiengang »Soziale Arbeit und Diakonie« verändere die Gesprächssituation auf dem Campus der Hochschule erfreulich, erklärt Voigt, weil die Hälfte derer, die den Studiengang gewählt haben, ohne kirchlichen Hintergrund sei. »Es kann uns nichts Besseres passieren, als dass wir ›mehr Welt‹ und andere Alltagsrealitäten auf dem Campus haben«, freut sich der neue Rektor auf dadurch entstehende Diskussion und gegenseitige Bereicherungen.
Die Bereitschaft zum Gespräch fördern
Weiterhin Mittelpunkt der Hochschulausbildung seien aber die beiden Studiengänge zu den Bachelor- und Masterabschlüssen in Theologie. Das ist dem in der EmK vielfältig engagierten und vernetzten »Kirchenmenschen« Voigt sehr wichtig. Rund fünfzig Studenten, je etwa zur Hälfte Frauen und Männer, seien dafür eingeschrieben. Besonders mit Blick auf die Ausbildung zum pastoralen Dienst will Voigt dazu beitragen, »dass es interessant und wichtig ist, Theologie zu studieren«. Außerdem wolle er die Atmosphäre auf dem Campus so mitprägen, »dass alle ihre Anliegen ins Gespräch bringen können und zugleich damit umgehen lernen, dass andere die Dinge anders sehen«. Das gelte für die Theologie, aber es gelte auch für gesellschaftliche, wissenschaftliche oder andere Themenfelder. »Mein größtes Anliegen ist, dass wir den gemeinsamen Gesprächsboden nicht verlieren«, betont Voigt die nötige Bereitschaft zum Gespräch, damit nicht Trennungen oder Spaltungen befördert werden.
Besonders im Blick auf die Ausbildung zum pastoralen Dienst stelle sich die Frage: »Wie welthaltig ist eigentlich die Theologie, die wir treiben?« Deshalb befürwortet Voigt möglichst viele Kontakte, die über die Hochschule hinausgehen. Die Hochschule biete dafür das sogenannte »Studium generale« an, bei dem in jedem Semester zusammen mit den anderen in Reutlingen angesiedelten Hochschulen Referenten verschiedenster Fachrichtungen zu Vorträgen eingeladen werden. Das diene horizonterweiternden Auseinandersetzungen, »dass wir Theologen auch ganz andere Dinge sehen, die in dieser Welt bedeutsam sind«. Außerdem müssten sich Theologie und christlicher Glaube den Fragen der Naturwissenschaft stellen, weshalb er selbst beispielsweise im EmK-Arbeitskreis »Naturwissenschaft und Glaube« mitarbeite.
Berufung ist unverzichtbar
Für die Ausbildung zum pastoralen Dienst, das betont Voigt ausdrücklich, würden Menschen gesucht, »die innerlich überzeugt sind«. Dabei vergleicht der Philosoph und Sprachenlehrer das auf den Gemeindedienst ausgerichtete Studium der Theologie mit der Leidenschaft eines Theaterschauspielers. Der kann den Beruf auch nur machen, »weil er dafür eine Berufung hat«. Ein Schauspieler würde sagen, »ich kann gar nicht anders«. Voigt: »Diese Form von Überzeugung und Engagement brauchen wir.« Für Theologie und pastorale Praxis sei Berufung daher »unverzichtbar«. In den Gemeinden sollten noch viel mehr Menschen auf ihre Berufung hin angesprochen werden, so lädt Voigt dazu ein, »uns noch viel mehr begabte Leute zu schicken.«
Neben den genannten Studiengängen in Theologie sowie Sozialer Arbeit und Diakonie habe die Hochschule noch eine weitere Besonderheit zu bieten. Der seit vier Jahren angebotene berufsbegleitende Master-Studiengang »Christliche Spiritualität im Kontext verschiedener Religionen und Kulturen« richte sich speziell an Berufstätige. Für deren Berufsfelder in Kirche und Gemeinde, Bildung und Diakonie sowie Therapie oder Sozialarbeit verbinde der Studiengang die eigene Erfahrung und Berufspraxis mit Fragen der Spiritualität und interreligiöser oder interkultureller Sensibilität. Voigt ist glücklich über dieses in der deutschen Hochschullandschaft einzigartige Angebot. Als »eine Art Genussstudium« beschreibt er es dem überraschten Zuhörer. Sich aus der beruflichen Praxis heraus Zeit zu nehmen für ein Studium in Wochenend-Modulen in Tagungshäusern sowie am eigenen Schreibtisch, verändere den Blick auf den Beruf und das eigene Leben. Die Rückmeldungen der bisherigen Absolventen und der Lehrkräfte bestätigten den Ansatz dieses Angebots.
Nahtlose Fortsetzung der Glaubensgeschichte
Neben den inhaltlichen Schwerpunkten nennt der Rektor weitere enorme Veränderungen an der Hochschule in den kommenden Jahren. So stünden bis 2024 drei Berufungen für die Lehrstühle Kirchengeschichte, Methodismus und Ökumenik, für Praktische Theologie sowie für Altes Testament und Biblische Theologie an. Außerdem werde eine weitere Lehrkraft für den Fachbereich Soziale Arbeit und Diakonie berufen. Darüber hinaus seien umfangreiche Baumaßnahmen geplant, um das inzwischen fünfzig Jahre alte Lehrgebäude zu renovieren und zu erweitern sowie ein weiteres Studentenwohnheim zu errichten.
Für eine Hochschule, die ihren Betrieb nur aus Mitteln der beteiligten EmK-Konferenzen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, aus Eigenmitteln sowie Spenden und Sponsorengeldern bestreitet, sei ein Investitionsvolumen von über fünf Millionen Euro ein großes Wagnis. Die Größe der Verantwortung ist dem neuen Rektor abzuspüren, und trotzdem sagt er fast gelassen: »Ich bin zuversichtlich, dass es zur Realisierung der Vorhaben kommt.« Ein Satz, der dazu geeignet ist, die inzwischen über 160-jährige Glaubensgeschichte methodistischer theologischer Ausbildung in Deutschland nahtlos fortzuschreiben.
Klaus Ulrich Ruof
Klaus Ulrich Ruof ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Pressesprecher für die Evangelisch-methodistische Kirche in Deutschland mit Sitz in Frankfurt am Main.
Kontakt: oeffentlichkeitsarbeit@emk.de.
Der Beitrag ist am 19.11.2021 auf www.emk.de erschienen.
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