02. Februar 2022
Vortrag von Prof. Dr. Lambert Wiesing im Rahmen des Studium Generale und der Vortragsreihe
»Verantwortung für die Gesellschaft: Medien. Macht. Wirklichkeit.«
Bilder zählen zu den zentralen Medien in demokratischen Gesellschaften. Auf welche Weise kann durch Bilder welche Art von Wirklichkeit konstruiert werden? Und warum sollte nicht von der Digitalen Fotografie gesprochen werden? Diesen und weiteren Fragen widmete sich Prof. Dr. Lambert Wiesing in seinem Vortrag im Studium Generale am 02. Februar 2022. Wiesing ist Professor für Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie seit 2019 Präsident der Deutschen Gesellschaft für phänomenologische Forschung.
Innerhalb seines Vortrags geht Prof. Dr. Lambert Wiesing auf die besondere Form der digitalen Fotografie ein. Um die digitale Fotografie beschreiben zu können, muss man sich laut Wiesing zunächst mit dem Begriff der Illusion und der Fiktion befassen. Er erzählt, dass zu der Frage was ist fiktionale Literatur eine große Anzahl an Literatur zu finden ist. Zu der Frage was sind fiktionale Bilder wiederum fand er nur einen einzigen Aufsatz. Er erklärt dieses Phänomen dadurch, dass in der philosophischen Bildtheorie davon ausgegangen wird, dass alle Bilder fiktive Dinge zeigen. Unter anderem vertrat Edmund Husserl, der Vater der Phänomenologie, diese Meinung.
Der Referent beschäftigte sich daher zunächst mit der Frage, warum im 20. Jhd. die Meinung verbreitet war, dass alle Bilder Fiktionen sind. Er betont, dass immer drei verschiedene Aspekte kategorial unterschieden werden müssen, wenn von Bildern gesprochen wird: Bildträger, Bildobjekt und Bildsujet. Der Bildträger ist das physische Material. Das Bildobjekt ist das, was auch als Darstellung bezeichnet werden kann – z.B. ist das Bild in schwarz-weiß oder in Farbe? Das Bildobjekt wird dabei auf dem Bildträger sichtbar. Das besondere beim Bildobjekt ist, dass dort etwas zu sehen ist, dass nicht den Gesetzen der Physik unterliegt – ein Bildobjekt kann man weder riechen, schmecken noch anfassen. Wiesing betont, dass Fiktion im Grunde ein anderes Wort für Bildobjekt darstellt. Dies nennt er als Erklärung dafür, warum viele große Bildtheoretiker bei Bildern per se von einer Fiktion sprechen. Das Bildsujet wiederum ist der Bildinhalt, also das, auf das sich im Bildobjekt bezogen wird.
Mit Blick auf die Fotografie ergibt sich nun laut dem Referenten ein Paradigmenwechsel. In der Philosophie gibt es a priori keine fiktionale Fotografie. Wird beispielsweise ein Foto des Eifelturms gemacht, dann findet ein physikalischer Vorgang statt und der Chip in der Kamera wird kausal beeinflusst. Der Bildträger wird kausal produziert, d.h. es spielt kein menschlicher Wille mit rein. Es lässt sich z.B. auch nicht Superman fotografieren, da es sich dabei um eine fiktive Person handelt, die nicht vor der Kamera stehen kann. Ein Bild von Superman kann wiederum angefertigt werden. Laut Wiesing lässt sich aufgrund dessen sagen, dass es a priori keine fiktionale Fotografie gibt. Aus diesem Grund kann die Fotografie etwas beweisen. In einem Gerichtsprozess beispielsweise kann eine Person mittels einer Fotografie überführt werden, da Fotografien kausale Spuren darstellen.
Wie bereits erläutert, entsprechen in der Bildtheorie alle Bilder Fiktionen. In der digitalen Fotografie ergibt sich nun laut Wiesing ein neues Phänomen. Viele digitale Bilder sehen aus wie Fotografien – hier besteht das Phänomen einer Illusion des Mediums. Es besteht die Illusion, dass eine Fotografie vorliegt, obwohl dies nicht der Fall ist. Im Gegensatz zu einer tatsächlichen Fotografie stand nie ein Objekt vor der Kamera.
In der Kunst gibt es bereits ein ähnliches Phänomen: den Fotorealismus. Dabei handelt es sich z.B. um Zeichnungen, die mit der Illusion verbunden sind, dass sie Fotografien sind. Bei genauerer Betrachtung lässt sich jedoch erkennen, dass es sich dabei tatsächlich um Zeichnungen handelt.
Laut Wiesing ist es ein großer Fehler die digitale Fotografie als solche zu bezeichnen. Die digitale Fotografie sieht aus wie eine reale Fotografie, d.h. sie verliert ihren fiktiven Charakter und erscheint als Wahrheitstreu, obwohl sie das nicht ist. Laut dem Referenten handelt es sich daher bei der digitalen Fotografie um ein gutes Medium mit dem unter anderem Fake News und Manipulationen in die Welt gesetzt werden können.
Prof. Dr. Wiesing plädiert daher dafür die digitale Fotografie als das zu bezeichnen, was sie tatsächlich ist: Digitale Malerei.
Miriam Feger, Volontärin, Stabsstelle Marketing und Kommunikation, Hochschule Reutlingen